Null-Fehler-Management-Fallbeispiel

Was war passiert?

Ein Schweisser schnitt in einem Chemieunternehmen bei Reparaturarbeiten eine falsche Rohrleitung an. Das auslaufende Buten-Gasgemisch entzündete sich durch den Funkenflug des Trennschleifers. Die Flammen entzündeten eine benachbarte Ethylen-Leitung und lösten eine Explosion aus.

Durch die Explosion starben fünf Menschen (4 Feuerwehrleute und 1 Matrose) und 44 weitere wurden verletzt, 6 davon schwer. Der Sachschaden und die Folgeschäden durch Betriebsausfälle beliefen sich auf schätzungsweise 500 Millionen Euro.

Trotz aller Tragik sollte es Pflicht für jedes Unternehmen sein, solche Katastrophen nicht als unausweichliches Ereignis zu betrachten, sondern aus den Ursachen zu lernen.

Und das sind die Themen des heutigen Beitrags.

  • Welche Methode ist zur Fehlerursachenanalyse geeignet? Welche nicht?
  • Wie kommt man aus der Falle „Hauptursache Mitarbeiterfehler!“ raus?
  • Welche Rolle spielen die „Human Factors“ und sie latenten Ursachen im System?
  • Was kann jedes andere Unternehmen aus dem Unglück lernen?
  • Wie können Katastrophen trotz menschlicher Fehler verhindert werden?

Neben den Erfahrungen aus dem Unglück gebe ich Ihnen noch andere nützliche Empfehlungen zum Risisko- und Fehlermanagement mit. Das sind Erfahrungen aus Fehlerursachenanalysen, die ich in der Vergangenheit begleitet habe.

1. Irren ist menschlich. Wo Menschen arbeiten passieren Fehler.

Unglücke passieren in der Regel durch falsche Handlungen in Verbindung mit unsicheren Bedingungen. Bei der Planung von Prozessen sollten deshalb immer auch eine gewissenhafte Risikoabschätzung und -bewertung durchgeführt werden.

Mit einer Prozess-FMEA kann dann auch das Restrisiko ermittelt werden. Die Grundlage für eine P-FMEA sind u.a. auch die Fehler, Unfälle, Beinaheunfälle usw.  aus der Vergangenheit.

Ist ein Restrisiko nicht auszuschließen, sollten geeignete Schutzmaßnahmen (engl. Safety Barriers) die Fehlerfolgen minimieren.

Ursache-Wirkungsprinzip an einem Beispiel:

Ursache-Wirkungs-Prinzip

Die Sprinkleranlage hat in diesem Bespiel als Schutzmaßnahme die Aufgabe, bei einem Feuer durch eine unsichere Handlung eine Katastrophe zu verhindern.

Lessons learned:

Geeignete Schutzmaßnahmen können die Folgen von Mitarbeiterfehlern minimieren. Ein Mitarbeiterfehler muss nicht immer gleich in einer Katastrophe enden.

Das gleiche gilt für Fehler durch die Technik (z.B. Staubexplosion) oder durch Umgebungsbedingungen (z.B. Blitzeinschlag).

Sind selbst Schutzmaßnahmen nicht möglich, können geeignete Maßnahmen zur frühzeitigen Entdeckung eines Fehlers (z.B. Rauchmelder, regelmäßige  Checks) helfen, schwerwiegende Fehlerfolgen zu minimieren.

2. Menschliche Fehler sind nie die Ursachen eines unerwünschten Ereignisses, sondern immer die Folge von Schwachstellen im System

Weil das so ist, ist eine gewissenhafte Fehlerursachenanalyse notwendig, um die Schwachstellen im System zu identifizieren und zu eliminieren. Erst durch die Beseitigung dieser Schwachstellen können wirksame und nachhaltige Verbesserungsmaßnahmen das Risiko für Fehler weiter minimiert werden.

Denn was passiert, wenn „Verbesserungsmaßnahmen“ festgelegt und umgesetzt werden, die nicht im kausalen Zusammenhang mit dem unerwünschten Ereignis stehen: der gleiche Fehler kann wieder passieren.

Eine Fehlerursachenanalyse zur Untersuchung eines unerwünschten Ereignisses besteht aus mindestens 3 Schritten:

Eine Cause Map ist für diese Zwecke ein geeignetes Werkzeug. Mit ihr können die kausalen Ursache-Wirkungsbeziehungen systematisch und strukturiert unter Berücksichtigung der Zeitleiste analysiert werden.

Sie können sich die Cause Map kostenlos hier herunterladen.

Ursachenbaum Chemieunfall (44 Downloads)


Die Vorteile für eine Fehlerursachenanalyse mit der Cause Map liegen auf der Hand:

  • der Sachverhalt mit Problembeschreibung, Ursache-Wirkungsbeziehungen und Verbessrungsmaßnahmen ist auch für Außenstehende relativ leicht erkennbar; auch ohne einen seitenlangen Report
  • für das Ganze ist keine teure Software-Lösung notwendig; Microsoft-Excel reicht vollkommen aus
  • bei weniger komplexen Fällen reicht auch eine Weißwandtafel und Haftnotiz-Zettel aus, um die Ursache-Wirkungsbeziehungen darzustellen
  • Das Cause Mapping zwingt den Untersuchenden anhand des Zeitstrahls ausgehend vom Problem die kausalen Ursache-Wirkungsbeziehungen darzustellen

Ein detaillierte Beschreibung einer Fehlerursachenanalyse in 9 Schritten, mit der Sie auch die komplexesten Vorfälle untersuchen können, finden Sie übrigens in einem Handbuch, dass Sie hier anfordern und kostenlos herunterladen können.

Lessons learned:

  • Eine Fehlerursachenanalyse bringt nur etwas, wenn Fehler gemeldet und offen und konstruktiv über die latenten Schwachstellen in den Prozessen gesprochen wird. Ein ungeregelter Kommunikationsprozess kann der Stein sein, der die nächste Katastrophe ins Rollen bringen kann.
  • Alle kritischen Fehler, die für den eigenen Bereich relevant sind, sollten unverzüglich in die Gefährdungsbeurteilung (GBU) aufgenommen und analysiert werden. Und Sie wissen ja: nicht die Fachkraft für Arbeitssicherheit (FaSi) ist für die GBU verantwortlich, sondern Sie als Prozessverantwortlicher. Die Aufgabe der FaSi ist, Sie im Umgang mit der GBU zu unterstützen.
  • Nutzen Sie das Meeting zu Schichtbeginn, um alle Teammitglieder über wichtige Ereignisse, Änderungen in den Prozessabläufen oder sonstige bevorstehende Aktionen zu informieren. Denken Sie vor allen Dingen an die neuen Teammitglieder, die in der Regel die Gefahrenpotentiale noch nicht (so gut) kennen.
  • Setzen Sie geeignete visuelle Hilfsmittel und akustische Zeichen ein, um auf besondere Gefahren hinzuweisen. Jeder muss aber wissen, was die Zeichen auch bedeuten. Übertreiben Sie es jedoch nicht. Eine Überreizung der Sinnesorgane kann auch kontraproduktiv sein. Und entfernen Sie auch mal ab und zu etwas, falls gewisse Dinge zur Routine geworden sind.

Noch ein paar Erfahrungen aus eigenen Fehlern der Vergangenheit:

  1. Aus eigener (schlechter) Erfahrung sollten Sie die „5xWarum?“-Fragetechnik zur Ermittlung der einen „Hauptursache“ nicht anwenden. Warum nicht? Es gibt sie nicht, die eine „Hauptursache“ bei komplexen Vorfällen. Wie Sie in der Cause Map erkennen können, tragen eine Vielzahl von Ursachen zu dem Unglück bei.
  2. Vergessen Sie auch das Fischgrätendiagramm, um die latenten Ursachen für das Problem bei solch komplexen Problemen zu identifizieren. Die Darstellung von  Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Ursachen ist nicht möglich und die zeitlichen Abhängigkeiten finden keine Berücksichtigung. Und durch die vielen Verästelungen kann das Fischgrätendiagramm schnell unübersichtlich werden. Sie können sich eine Menge Stress und unnötige Diskussionen über mögliche Ursachen ersparen. Arbeiten Sie besser mit den Fakten – und nicht mit Vermutungen.
  3. Wenn Sie keine Antworten auf Fragen mehr bekommen, machen Sie STOP, anstatt sich in Vermutungen zu verlieren. Gibt es aber noch Klärungsbedarf, kennzeichnen Sie das mit einem „?“.
  4. Unterscheiden Sie bei den Ursachen zwischen Tatsachen und Vermutungen. Tatsachen müssen durch Dokumente, Interviews, Bilder usw. bestätigt werden können. Vermutungen sollten als solche gekennzeichnet werden. Warum? Die Beseitigung einer vermuteten Ursache ist kein Garant dafür, dass der Vorfall nicht noch mal passiert. Die Gewissheit haben Sie nur bei tatsächlichen kausalen Ursache-Wirkungsbeziehungen. Aber leider bleibt da immer noch ein Restrisiko. Es ist nicht auszuschließen, dass zukünftig auch noch andere Einflussfaktoren das gleiche oder ein ähnliches Unglück verursachen können, die in der aktuellen Untersuchung keine Rolle gespielt haben. Die menschliche Kreativität kennt keine Grenzen. Denken Sie an das Gesetz von Murphy: Was schief gehen kann, wird auch schief gehen!“

3. Lernen Sie, Erfahrung zu sammeln, indem Sie aus Fehlern lernen

In dem aktuellen Beispiel dieses Beitrags stammen alle Informationen aus den Medien. Leider gibt es keine Hinweise, warum die falsche Rohrleitung angeschnitten wurde. Der gute Mann kann sich an nichts mehr erinnern. Als kausale Ursache wird deshalb ein „Blackout“ vermutet.

In der Sprache der Arbeitssicherheit heißt das übersetzt: Der Arbeiter war entweder „mit dem Kopf nicht bei der Sache“ oder mit den „Augen nicht bei der Sache“. Das sind in der Regel auch die Hauptursachen bei unbewussten und unbeabsichtigten Fehlern.

Wie kommt es dazu?

Die Handlungen werden im Unterbewusstsein durchgeführt, ohne dass über den einzelnen Handgriff bewusst nachgedacht wird. Mit den Gedanken ist man in dem Augenblick bei etwas ganz anderem. Die Handlung geschieht ganz automatisch, ohne groß darüber nachzudenken. Wie z.B. beim Schuhe binden. Aber in dieser Situation können wichtige Informationen übersehen werden.

Das haben Sie sicher auch schon mal erlebt: Sie fahren auf der Autobahn. Wechseln die Spuren zum Überholen und wieder zurück. Bremsen, wenn Sie auf den Vordermann zu dicht auffahren. Und das Ganze mehr oder weniger im Unterbewusstsein. Und plötzlich stellen Sie fest, dass Sie an der Ausfahrt, an der Sie Autobahn eigentlich verlassen wollten, unbewusst vorbei gefahren sind. In diesem Moment waren Sie „mit dem Kopf nicht bei der Sache.“

Oder eine Handlung wird durchgeführt, ohne dass die Hände vor Ort im Blickfeld sind. Auch hier werden wichtige Informationen nicht berücksichtigt. Das ist z.B. der Grund, warum sich Mitarbeiter so oft mit dem Messer an der Hand verletzen, wenn sie irgendwelche Kartons aufschneiden. Da wird nicht bewusst darauf geachtet, welche Hand sich wo während des Schneidevorgangs befindet und wohin sich die Hand mit dem Messer hinbewegt. Weil die Augen z.B. auf den Kollegen gerichtet sind, um mit ihm etwas zu besprechen.

Aber zurück zu dem Thema „aus Fehlern lernen“.

Solange kein Staatsanwalt im Hause ist, obliegt es ganz bei Ihnen, wie Sie mit Fehlern umgehen und was Sie aus den Fehlern machen.

Hierzu sollten Sie sich vielleicht noch mal die Sicherheitspyramide in Erinnerung rufen. Auch wenn die Zahlen umstritten sind, geben sie doch einen Hinweis darauf, dass viele unsichere Handlungen, unsichere Bedingungen, Beinaheunfälle, kleinere Verletzungen usw. passieren, bevor es zum Super-Gau kommt.

Und das ist Ihre Chance, diese Vorfälle – jetzt noch ohne katastrophalen Folgen- aufzunehmen und systematisch die latenten Ursachen in Ihrem System zu identifizieren und zu eliminieren.

Das heißt konkret:

  • Schauen Sie sich z.B. regelmäßig die Verbandsbücher an und analysieren Sie die Ursachen. Und stellen diese dann ab.
  • Visualisieren Sie, in welchem Bereich die häufigsten und schwersten Verletzungen vorkommen.
  • Kümmern Sie sich vor allen Dingen um die Beinaheunfälle. Wenn nur Sachschaden entstanden ist, aber sonst niemand verletzt wurde, haben Sie einfach nur Glück gehabt. Aber auf dem Prinzip „es ist schon immer gut gegangen“ sollte keine Arbeitssicherheit aufgebaut sein.
  • Sollten Sie den Verdacht haben, dass Verletzungen und kleinere Unfälle vertuscht werden, tun Sie etwas dagegen.

Das Gleiche gilt in dem Zusammenhang nicht nur für die Arbeitssicherheit, sondern auch für das Qualitätsmanagement im Umgang mit Fehlern.

Mit einem systematischen Fehlermanagement können Sie  erstens das Risiko für Fehler und Unfälle  mit katastrophalen Folgen wesentlich verringern (→ Null-Fehler-Management) und zweitens die Fehler- und Unfallrate insgesamt drastisch verringern.

Lessons learned

  • Machen Sie sich als Vorgesetzter in Hoch-Risiko-Bereichen täglich ein Bild darüber, in welchem mentalen und physischen Zustand Ihre Mitarbeiter sich befinden. Unternehmen Sie etwas, wenn sie überfordert zu sein scheinen.
  • Auch Teams untereinander sollten sich kollegial gegenseitig unterstützen, falls jemand nicht mehr weiter weiß und Hilfe braucht.

Sie wollen jetzt den nächsten Schritt machen?

SigmaConsult-Peter-Cartus-Nullfehlermanagement-2

Sie haben jetzt den Entschluss gefasst, etwas zur Senkung der Fehlerrate und Fehlerkosten in Ihrem Unternehmen oder in Ihrem Verantwortungsbereich zu tun?

Dann schlage ich Ihnen vor, als erstes ein unverbindliches Orientierungsgespräch zu führen, wie wir gemeinsam das Fehlermanagement und den Problemlösungsprozess in Ihrem Unternehmen auf das nächste Level heben können. Damit Sie die Arbeitsunfälle, Qualitätsmängel, Produktionsstörungen, Nacharbeitskosten usw. endlich in den Griff bekommen.