Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Aber, Fehler ist nicht gleich Fehler. Und es gibt viele Begrifflichkeiten zum Thema „Umgang mit Fehlern“ die leicht zur Verwirrung in Diskussion führen können.
In diesem Beitrag geht es deshalb um Fehler und ihre Ursachen. Und um den Zusammenhang mit Sicherheit und Unfällen.
Dazu nutze ich das Fehlermodell nach James Reason (1990), das ich am anschaulichsten für eine Einführung in das Thema halte.
Handlungsfehler
In diese Kategorie fallen die Tätigkeiten, die unmittelbar am „Front End“ eines Prozesses zu einem nicht gewünschten Ereignis, also einem Unfall, einem Schaden, Wartezeit, usw. führen. Und zwar ohne dass hierfür ein zufällig oder unvorhersagbar auftretendes Umweltereignis, z.B. ein Blitzeinschlag, regelwidriges Verhalten Dritter usw. verantwortlich gemacht werden kann.
Das sind die aktiven Fehler, die jeder sehen kann und im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen.
Man unterscheidet 3 Ausprägungen. Hier ein Beispiel aus der Industrie:
Aus der Praxis für die Praxis
Wenn Sie im Kollegenkreis offen über Fehler sprechen wollen, vermeiden Sie in Zukunft am besten den Ausdruck “Fehler machen”. Der Begriff “machen” suggeriert nämlich in unserem Sprachraum, dass jemand etwas “bewusst” macht. Und wenn jemand einen Fehler “bewusst” macht, dann wird das meistens sofort mit dem Begriff “Schuld ” verknüpft. Und schon steckt man in der sprachlichen Falle, dass jemand wegen eines “Fehlers” schuld ist.
In Wirklichkeit ist es aber doch so: niemand macht bewusst einen Fehler. Oder sind Sie schon mal bewusst mit erhöhter Geschwindigkeit in eine Radarfalle gefahren? Eben. Sie haben vielmehr eine Entscheidung für Ihr Handeln getroffen, die sich im nachhinein als falsch erwiesen hat.
Wenn Sie also zukünftig in der internen und externen Kommunikation die Aussage “Herr oder Frau X hat einen Fehler gemacht” ersetzen durch “Herrn oder Frau X ist ein Fehler passiert”, dann haben Sie schon mal die Sache entpersonalisiert. Und alle können sich auf die Sache fokussieren — und nicht auf die Person.
Glauben Sie mir, das macht die Sache viel einfacher. Die Emotionen können drastisch herunter gefahren werden. Eine gute Voraussetzung für eine sachlich fundierte Analyse des Vorfalls.
Fehlerklassifikation nach James Reason
Übersicht
Bei den menschlichen Fehler geht es um die nächste Ursachenebene der Handlungsfehler. James Reason hat hierzu 1990 das folgende Modell mit verschiedenen Fehlerarten entwickelt.
Ausführungsfehler
Hier werden Handlungen anders ausgeführt, als sie ursprünglich geplant waren.
Aufmerksamkeitsfehler
Das sind in der Regel Fehler bei Routinehandlungen bzw. Tätigkeiten, die vom Unterbewusstsein gesteuert werden.
Beispiel:
Sie laufen durch die Werkstatt und stolpern über einen am Boden liegenden Schlauch und fallen hin. Weil Sie mit Ihren Gedanken wo anders sind, wird die Bewegung Ihrer Füße durch den Automatikmodus Ihres Gehirns gesteuert. Sie achten bewusst nicht auf den Boden, weil Sie dort nichts vermuten und stolpern können.
Das passiert Ihnen z.B. im beim Klettern im Gebirge nicht. Dort achten Sie bei jedem Schritt auf die Bodenverhältnisse und achten bewusst bei jedem Tritt darauf, wo Sie Ihre Füße hinseten.
In der Sprache der Arbeitssicherheit heißt dieses Verhalten: „Mit dem Kopf bzw. mit den Augen nicht bei der Sache.“
Gedächtnisfehler
Auch hier ist der Standardablauf bekannt, man kann sich aber an das eine oder andere Detail nicht mehr erinnern und macht deshalb einen Fehler.
Beispiel:
Sie gehen in das Werkzeugmagazin um fünf verschiedene Betriebsmittel für Ihren Arbeitsplatz zu holen. Als Sie zurückkommen, stellen Sie fest, dass Sie ein Teil vergessen haben – und müssen deshalb den Weg noch mal machen.
Gedächtnisfehler passieren auch dann oft, wenn jemand eine Routinetätigkeit eine längere Zeit nicht gemacht hat.
Planungsfehler
In diesem Fall verläuft die Handlung wie geplant, aber das Ergebnis entspricht nicht den Erwartungen. Der Plan war also schlicht ungeeignet.
Regelbasierte Fehler
Diese Fehler passieren, wenn ein Handlungsplan vorliegt, aber eine an sich „richtige“ Regel im jeweiligen Fall falsch oder nicht angewendet wird. Oder es wird bei einer geplanten Handlung auf eine „falsche“ Regel zurückgegriffen.
Ursache:
Eine Regel, die sich in früheren Situation bewährt hat, wird durch eine falsche Einschätzung auf die aktuelle Situation übertragen.
Beispiele:
Es ist Winter. Sie nähern sich einer roten Ampel und bremsen ab. Bei der Entscheidung, wann Sie mit dem Bremsen beginnen, haben Sie jedoch nicht berücksichtigt, dass die Straße glatt ist. Deshalb ist der Bremsweg länger als auf einer trockenen Straße und Sie fahren auf das Fahrzeug vor Ihnen auf. Sie haben in diesem Fall also die richtige Handlung „bremsen“ wegen falscher Einschätzung der Situation falsch ausgeführt.
Sie sind Ersthelfer und müssen bei einem Kollegen, der einen Herzinfarkt erleidet, Erste Hilfe leisten. Wenn Sie jetzt die Herzdruckmassage mit falscher Frequenz und ungenügender Einpresstiefe ausführen, wenden Sie eine an sich „richtige“ Regel falsch an.
Es ist mitten in der Nacht. Sie sind schon sechs Stunden unterwegs. Noch eine Stunde bis nach hause. Sie überfällt die Müdigkeit, fahren aber doch weiter. Und dann übersehen Sie ein parkendes Auto. Im Unterbewusstsein fahren Sie noch vorbei, touchieren aber mit dem rechten Außenspiegel das fremde Auto. Ursache: Sekundenschlaf. Durch die falsche Einschätzung der Situation haben Sie ein „richtige“ Regel nicht angewendet: rechtzeitig ausreichende Pausen zu machen.
Wissensbasierte Fehler
Hier geht es um die falsche Ausführung von Tätigkeiten wegen fehlenden Standards, fehlendem Wissen, mangender Routine usw.
Beispiele:
Der Mitarbeiter ist neu an einem Arbeitsplatz, wird nur oberflächlich eingewiesen und führt eine Handlung falsch aus.
In diese Kategorie fallen aber auch die Fehler durch Selbstüberschätzung: Der Mitarbeiter glaubt mit einer Tätigkeit zurechtzukommen, die er eigentlich noch nie gemacht hat. Anstatt andere um Hilfe zu bitten, versucht er eine unbekannte Tätigkeit alleine zu Ende zu bringen – und scheitert. Dieses Phänomen ist häufig bei wechselnden Einsatzstellen wie z.B. bei Monteuren im Außendienst zu beobachten.
Ein Staplerfahrer, der bisher nur Lasten von 1to transportiert hat, soll kurzfristig mit einem 8to-Stapler große und schwere Lasten transportieren, obwohl er das noch nie gemacht hat – und hat prompt Probleme beim Rangieren und kippt den Stapler um, weil er keine Erfahrung mit so schweren Lasten hat.
Regelverstoß
Routineverstoß
Hier werden Arbeitsanweisungen, Sicherheitsvorschriften, die Arbeitsordnung, usw. aus den verschiedensten Gründen bewusst nicht beachtet. Da die Verstöße nicht von den Vorgesetzten geahndet werden, entwickeln sie sich schleichend zur „Norm“. Obwohl die schriftlichen Standards nicht geändert wurden herrscht dann generell die Meinung, dass die Regeln nicht gültig sind und deshlab nicht mehr beachtet werden müssen.
Beispiel:
Zum Schleifen von Metallteilen ist eine Schutzbrille vorgeschrieben, die aber bewusst nicht getragen wird. Weil Sie unbequem oder für den vorgesehemem Zwecknicht geeignet ist.
Aber auch wenn die Regeln bewusst nicht beachtet werden, können die Hintergründe doch vielfältig sein. Liegt es nur an dem Mitarbeiter oder ist z.B. die Standard-Schutzbrille für ihn persönlich aus bestimmten Gründen nicht geeignet? Und das Unternehmen hat bisher keine geeignete Schutzbrille anschaffen können?
Situationsbedingter Regelverstoß
Auch hier werden Arbeitsanweisungen, Sicherheitsvorschriften, die Arbeitsordnung, usw. wegen speiellen Situationen bewusst nicht beachtet. Die Gründe können vielfältig sein, zum Beispiel:
- Zeitdruck sein, etwas noch schnell fertig machen zu müssen,
- eine kurzfristige Arbeitsüberlastung z.B. wegen plötzlichen Ausfall eines Mitarbeiters,
- ungewöhnliche Wetterbedingungen,
- ungeeignetes Werkzeug oder Ausrüstung für eine planmäßige oder außerplanmäßige Tätigkeit.
Ausnahmeverstoß
Auch hier wird bewusst gegen Regeln verstoßen. Die Ursache kann z.B. eine außergewöhnliche Situation sein, in der ein Problem schnellstens gelöst werden muss. Es kann dafür notwendig sein, wegen einer Güterabwägung eine Regel nicht zu beachten. Eine kalkuliertes Risiko bei Verletzung der Regek wird in Kauf genommen.
Beispiel:
Unter normalen Umständen ist es nicht gestattet, einen Fahrweg für Gabelstapler zu betreten. Im Fall eines Brandes ist es jedoch erforderlich, auf dem kürzesten Weg zu einem Handfeuerlöscher zu gelangen.
Bei den menschlichen Fehlern nicht bei dem betroffenen Mitarbeiter aufhören „warum?“ zu fragen
An dieser Stelle hören die Unternehmen, die noch keine konstruktive Fehlerkultur praktizieren, leider mit der Ursachensuche auf.
Speziell bei Arbeitsunfällen wird gerne “menschliches Versagen” (=menschlicher Fehler) als alleinige Hauptursache kommuniziert.
Solche Erklärungen sind bequem: den Personen, die direkt Unfälle verursachen, die “Schuld” zuzuweisen suggeriert, dass solche Unfälle unvermeidbar seien.
Die Vorgesetzten fühlen sich von jeglicher Verantwortung befreit, was zu einfachen Empfehlungen führt: “Die Mitarbeiter müssen eben diszipliniert arbeiten, vielleicht noch ein Training absolvieren oder eben noch vorsichtiger sein!”.
Diese Denkweise passt aber nicht zu einer konstruktiven Fehlerkultur. Das sind keine geeigneten Verbesserungsmaßnahmen, um ähnliche Vorfälle zukünftig zu vermeiden.
Untersuchungen von Unfällen und außergewöhnlichen Ereignissen zeigen, dass menschliche Fehler in der Regel Symptome von tieferliegenden Fehlern sind. Fehler in den Prozessen, Problemen mit der Ausrüstung, Probleme mit Einstellung und Verhalten, usw.. Je größer die Auswirkungen sind, umso mehr dieser latenten Fehler bzw. Probleme wird man identifizieren.
Und genau diese Probleme müssen identifiziert, analysiert und beseitigt werden. Dann kann das Risiko vermindert, am “Front End” einen Handlungsfehler zu machen.
Aus der Praxis für die Praxis
Wenn die Auswirkungen von menschlichen Fehlern katastrophale Ausmaße annehmen können und deshalb 100%ig ausgeschlossen werden müssen, sollten Sie über folgende Vorbeugemaßnahmen nachdenken:
- harte oder weiche Poka Yoke-Maßnahmen,
- Kontrollen mit dem 4‑Augen-Prinzip,
- oder zusätzliche Fail-Safe-Maßnahmen.
Eine Fail-Safe-Maßnahme ist z.B. die Installation einer Sprinkler-Anlage, wenn Brände nicht 100% ausgeschlossen werden können und das Gebäude bei einem Brand nicht allzu sehr beschädigt werden soll.
Auch die Vorgabe einer persönlichen Schutzausrüstung (PSA) ist eine Fail-Safe-Maßnahme. Ziel ist doch, dass sich Mitarbeiter bei gefahrenträchtigen Arbeiten nicht verletzen, auch wenn ein Fehler passiert.
Aber bitte nicht übertreiben und den gesunden Menschenverstand einsetzen. Die Maßnahmen sollen keine Behinderungen für die Mitarbeiter sein. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, wenn Mitarbeiter ihre Ideen einbringen, wie sich am besten vor Verletzungen schützen können.
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Sie wollen jetzt den nächsten Schritt machen?
Sie haben jetzt den Entschluss gefasst, etwas zur Senkung der Fehlerrate und Fehlerkosten in Ihrem Unternehmen oder in Ihrem Verantwortungsbereich zu tun?
Dann schlage ich Ihnen vor, als erstes ein unverbindliches Orientierungsgespräch zu führen, wie wir gemeinsam das Fehlermanagement und den Problemlösungsprozess in Ihrem Unternehmen auf das nächste Level heben können. Damit Sie die Arbeitsunfälle, Qualitätsmängel, Produktionsstörungen, Nacharbeitskosten usw. endlich in den Griff bekommen.